Mehr Merci, Mehr Applaus, Mehr Enteignung!
von Jochen

Dass vor kurzem in Berlin mit 59,1% der Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co Enteignen“ über die Enteignung großer Immobilienfirmen zu Gunsten der Mieter angenommen wurde, ist eine großartige Entwicklung in der sonst eher schläfrigen Bundesrepublik. Auszusetzen gibt es daran höchstens, dass eine höhere ‚angemessene‘ Entschädigung im Raum steht, als die von der Realität in Sachen Satire längst überholte Satire-Partei Die Partei geforderte Packung Merci und eine Runde Applaus. Waren Applaus und ‚Anerkennung meist eher Hohn und Spott für von Corona überforderte und der Politik im Stich gelassene Pflegekräfte, so ist der Beitrag von Immobilienfirmen zur Gesellschaft wirklich nicht mehr Wert.
Dass nicht nur die üblichen Verdächtigen sich über einen „harte[n] Schlag für die Immobilienwirtschaft“ und eine „Niederlage für die Marktwirtschaft“ aufregen, sondern auch große Teile der ‚bürgerlichen‘ Öffentlichkeit entsetzt sind und etwa viele MitgliederInnen der ‚sozialdemokratischen‘ SPD Berlins sich gegen die Enteignung aussprechen, beweist hingegen, dass diese nicht einmal bürgerlich oder klassisch liberal sind.
„Landlords“ als Feindbild der ursprünglichen Liberalen
Um sich dies zu verdeutlichen, hilft vielleicht, sich die englische Übersetzung von „Vermieter“ vor Augen zu führen: „Landlord“. Im Gegensatz zum bürgerlich-liberalen Kapitalisten, der oder die Kapital investiert, um daraus mehr Kapital zu machen und dabei zumindest so etwas wie Risiko trägt, stammt die Rolle des Landlords aus dem mittelalterlich-feudalen Grundbesitz und erfordert wenn überhaupt ein Minimum an Investment und Risiko. Die Einkünfte des Landlords, sowohl von der klassischen Nationalökonomie als auch marxistischer Theorie als Grundrente genannt, stammen aus Zahlungen der NutzerInnen des Grundeigentums, die damit tatsächlich irgendetwas anfangen. Daher galt der Kampf Urliberaler Frühkapitalisten auch gerade diesem unproduktiven Grundeigentum, dass damals v.a. noch vom Adel gehalten wurde
So beklagte etwa der heute meist ungelesene Säulenheilige des Liberalismus Adam Smith1: „Von den 3 produktiven Klassen ist die der Grundeigentümer diejenige, der ihre Revenue weder Arbeit noch Sorge kostet, sondern der sie sozusagen von selbst kömmt, und ohne daß sie irgendeine Absicht oder einen Plan hinzutut.“ (Smith 1776: 161) Daher stellte er auch fest, dass diese Einkünfte dem Feinbild Nr.1 des Urliberalismus entspringen, also dem Monopol: „Die Grundrente als Preis betrachtet, den man für den Gebrauch der Erde zahlt, ist also natürlich ein Monopolpreis. Sie steht durchaus nicht im Verhältnis zu den Verbesserungen, die der Grundeigentümer an die Erde gewandt hat, oder mit dem, was er nehmen muß, um nicht zu verlieren, sondern mit dem, was der Pächter möglicherweise geben kann, ohne zu verlieren.“ (Ebd.: 302)
Dass sich die Mieten eher am Maximum dessen bemessen, was VermieterInnen erpressen können, als an guten Wohnungen, können wohl auch heute noch die meisten grundeigentumslosen MieterInnen nachvollziehen. Während das Kapital zumindest noch zu Investitionen zur Profitmaximierung tendiert, kann das Grundeigentum dieses durchaus vernachlässigen, solange die Miete fließt. Sollten einzelne GrundeigentümerInnen allein von ihrem Eigentum leben können, können sie sogar mit Mietminderungen aufgrund von Mängeln leben, solange diese geringer sind als die Kosten einer Renovierung. Sind diese GrundeigentümerInnen faul und haben ihr Eigentum z.B. aus Erbschaften erhalten haben – denen andere Frühliberale wie John Stuart Mill mit der Forderung einer 100%igen Erbschaftssteuer ebenso feindlich gegenüber standen (vgl. Beckert 2010), da der Liberalismus soziale Ungleichheit eigentlich allein aus individueller Leistung legitimiert – können diese sogar mit geringen Einbussen aufgrund der Mietminderungen komfortabel leben.
Dementsprechend stammen laut Smith die meisten Wertsteigerungen des Grundeigentums auch nicht aus eigenen Anstrengungen, sondern aus ohnehin stattfindenden Verbesserungen der Umgebung:
„Jede Verbesserung im Zustand der Gesellschaft strebt entweder direkt oder indirekt, die Grundrente zu steigern, den Realreichtum des Proprietärs zu erhöhen, d.i. seine Macht, fremde Arbeit oder ihr Produkt zu kaufen“ (Smith 1776: 157) Waren damit im späten 18. Jahrhundert vor allem von anderen vorgenommene Infrastrukturprojekte wie der Bau von Kanälen oder Eisenbahnen gemeint, die den Wert anliegenden Landes erhöhten, erhöhen sich heute in Innenstädten Grundstückspreise wie von alleine, selbst ohne dass Andere irgendetwas in der Nähe verbessern.
Enteignet ein, zwei viele Deutsche Wohnen & Co!
Wenn also etwa auch Karl Marx feststellte, dass das Recht der Grundeigentümer sich vom Raub ableitet, und diese „ernten, wo sie nicht gesät haben“ (Marx 1844: 497), handelt es sich nicht um eine radikale Abkehr vom bürgerlichen Liberalismus, sondern um a) um direkte Zitate der liberalen Theoretiker Say und Smith und b) um die konsequente Fortführung des darin enthaltenen Anspruchs der Aufklärung, den heutige Liberale und Co längst vergessen haben.
In diesem Sinne: Grundeigentum gehört nicht nur in Berlin, sondern überall enteignet. Das Mittelalter ist vorbei und darauf, dass die WiedergängerInnen der Raubritter kein Anrecht auf Grundrente haben, sollten sich sogar Liberale mit Linken einigen können – wenn auch vielleicht mit verschiedenen Zielen. Die vom Grundgesetz geforderte angemessene Entschädigung sollte mit je einer Packung Merci und etwas Applaus mehr als erfüllt sein.
Literatur
- Jens Beckert (2010): Are We Still Modern? Inheritance Law and the Broken Promise of Enlightenment, MPIfG Working Paper 10 /7, Köln
- Karl Marx (1844): Ökonomisch philosophische Manuskripte, in: Ders./Friedrich Engels: Werke (MEW), Band 40, 465-588, Berlin (Ost) 1968
- Adam Smith (1776): Der Wohlstand der Nationen, London 1776, zitiert nach: Karl Marx (1844): Ökonomisch philosophische Manuskripte, in: Ders./Friedrich Engels: Werke (MEW), Band 40, 465-588, Berlin (Ost) 1968